Der rote Fingerhut (Digitalis purpurea), ist eine wunderbare, heimische Pflanze, die ab Juni bis in den August hinein an lichten Stellen im Wald blüht. Hummeln sind (fast) die einzigen Insekten, die den Fingerhut anfliegen, er ist für im Wald lebende Hummeln eine wichtige Nahrungsquelle. In Gärten, wo er im Halbschatten gut gedeiht, macht der pflegeleichte Fingerhut eine prächtige Figur. Weder Sturm noch Regen können ihm etwas anhaben, und seine Blüten bieten Hummeln mehrere Wochen lang ein reichhaltiges Buffet. Allerdings sind sämtliche Pflanzenteile hoch giftig. Für Gärten, in denen sich kleine Kinder aufhalten, ist diese Pflanze deshalb nicht empfehlenswert.
Aber Hummeln lieben Fingerhüte. Beide bilden ein eingespieltes Team, denn nur kräftige Insekten kommen an den Nektarvorrat und Blütenstaub. Die Blüten des Fingerhuts sind sog. „Rachenblumen“. Ihr Eingang wird kleineren Insekten durch senkrecht hochstehende Sperrhaare verwehrt. Die großen Hummeln können diese Sperrhaare jedoch gut überwinden. Sie landen auf dem vorstehenden unteren Teil der Blüte und kriechen von dort über die Sperrhaare ganz in die Blüte („Einkriechblume“) hinein, um zum Nektar zu gelangen. Dabei streifen sie die Staubgefäße mit ihrem Rücken, auf dem die Pollenkörner hängen bleiben. Die Blüten des Fingerhuts erblühen von unten nach oben. In ihnen reifen zuerst die Staubgefäße, mit dem männlichen Blütenpollen, danach erst die weiblichen Geschlechtsorgane der Blüte mit zwei Narben, die mit Pollen bestäubt werden müssen. Vom Pollenkorn auf der Narbe wachsen Pollenschläuche ins Innere des Fruchtknotens mit den zu befruchtenden Eizellen. Wer genau hinschaut, wird erkennen, dass Hummeln die Blütenstände des Fingerhuts immer von unten nach oben anfliegen, was für die Pflanze die Fremdbestäubung sichert: Sind in den unteren, älteren Blüten nämlich die Narben reif, werden sie von einer einkriechenden Hummel mit Pollen bestäubt, den sie von einem vorher besuchten Fingerhut mitbringt, während die Staubgefäße einer Blüte mit reifer Narbe bereits entleert sind und kein Pollen mehr mitgenommen werden kann. In den oberen Blüten sind die Narben noch nicht reif, dafür sind die Staubgefäße noch nicht vertrocknet. Die Hummel nimmt hier wieder Pollen mit und fliegt damit zur nächsten Fingerhutpflanze, wo sie von unten wieder eine ältere Blüte mit reifer Narbe zuerst aufsucht. Eine Eigenbefruchtung wird so ausgeschlossen, die Fremdbefruchtung sichergestellt.
Für Pflanzen ist die Bestäubung die Hauptsache, für Hummeln – wenn überhaupt – nur Nebensache. Sie brauchen neuen Treibstoff zum Fliegen (Nektar), der Pollen, den sie mitnehmen, liefert Proteine für ihren Nachwuchs. Von beidem gilt es, in möglichst kurzer Zeit möglichst viel zu sammeln. Die Evolution hat in Millionen von Jahren dieses Team geschmiedet, dass beiden Teammitgliedern das Überleben sichert.